Rückblick: Öffentlicher Abschlussworkshop 2019

Am 7. und 8. Dezember 2019 fand der Abschlussworkshop – inkl. Öffentlicher Veranstaltung – des ersten Jahres des Thinktanks Karov-Qareeb statt. In der gemeinsamen Planung mit den Teilnehmer*innen wurde schnell deutlich, dass sie diese zum Anlass nehmen wollten, das Konzept des Thinktanks als Ort des „Miteinander Denkens und Reflektierens“ zu erproben: anstatt also von Themen zu berichten, sollte es beispielsweise auch ein WorldCafé geben: moderiert von den Teilnehmer*innen als Möglichkeit, vertieft ins Gespräch zu kommen.

Mit einer Einführung durch Jo Frank, Geschäftsführer vom ELES, begann der Nachmittag in der Berlinischen Galerie. Nach dem Grußwort des Staatssekretär Gerry Woop aus der Senatsverwaltung für Kultur und Europa, Mittelgeber der ersten Stunde, sowie des Teams von Karov-Qareebs fand ein offenes Podiumsgespräch statt.

Die Fragestellung des Podiumsgesprächs diente zugleich der Reflexion der zentralen Frage des gesamten Projekts: „Der Weg ist das Ziel?!“. Die gesprächsleitende Frage wurde gemeinsam mit zwei Expert*innen jüdisch-muslimischer Dialogarbeit diskutiert. In einem persönlichen Impuls stellte Prof. Dr. Frederek Musall exemplarisch Aspekte individuellen und kollektiven Potentials jüdisch-muslimischer Zusammenarbeit dar. Das daran anschließende Gespräch wurde von Iman Al Nassre moderiert, einer ehemaligen Projektmitarbeiterin der Dialogperspektiven, die über langjährige Erfahrung in der interreligiös/-weltanschaulichen Dialogarbeit verfügt. Sie führte das Gespräch über Facetten von und das Schaffen und Erkunden von Nähe gemeinsam mit Frederek Musall und Teilnehmer*innen von Karov-Qareeb, die abwechselnd zu zweit auf dem Podium Platz nehmen konnten. Das Konzept eines fließenden Gesprächs, in welchem verschiedene Teilnehmer*innen zu Wort kommen, war gewählt worden, um niemanden in die Lage zu bringen, für die gesamte Gruppe sprechen zu müssen. Dementsprechend persönlich und divers fielen auch die Antworten auf Iman Al Nassres Fragen aus. Das Publikum konnte während des Gesprächs über sehr verschiedene Motivationen, sich bei Karov-Qareeb zu engagieren, erfahren. Teilnehmer*innen diskutierten zudem auch mit Frederek Musall, wie sich ein interner Thinktank nach dem Aufbau von Vertrauen untereinander mit eigens gesetzten Schwerpunkt an die Öffentlichkeit wagen kann anstatt nur auf gesamtgesellschaftliche Bewegungen zu reagieren.

Sechs Teilnehmer*innen luden anschließend die Gäste ins WorldCafé ein, das in drei Themenrunden Einblicke in die Arbeit des Thinktanks gab. Dieses offene und partizipative Format brachte die Besucher*innen,  darunter Akteur*innen aus Wissenschaft, Politik und den Religionsgemeinschaften, Vertreter*innen verschiedener Organisationen und Initiativen, miteinander ins Gespräch.

An einem Tisch wurde die Frage nach Chancen und Herausforderungen von jüdisch- muslimischer Solidarität in alltäglichen Zusammenhängen diskutiert. Unter dem Titel „Jüdisch-muslimische Solidarität: Warum ist uns das wichtig? Welche Chance und Herausforderungen haben wir? Was wird von uns gefordert?“ berichteten Teilnehmer*innen von Situationen, in denen sie sich alleingelassen fühlten und welche Ausdrücke und Bekundungen von Solidarität ihnen geholfen hatten. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Frage, inwieweit gerade jüdische und muslimische Menschen solidarisch miteinander sein müssten und dies öffentlich kundgeben, weil sie gegeneinander ausgespielt werden – dies aber keinesfalls dazu führen solle, andere diskriminierte Gruppen aus den Augen zu verlieren und genauso stark gegen beispielsweise Antiziganismus und Transphobie vorzugehen. Dies deckte sich in Ansätzen mit der Diskussion an einem weiteren Tisch: Unter dem Titel „Bindestrichidentitäten – Identitätsaspekte, die über jüdisch/muslimisch hinausgehen“ wurde an einem zweiten Tisch über Ambivalenzen und Überschneidungen von Begegnungen diskutiert, die jenseits jüdischer und muslimischer auch weiterer Identitätsaspekte beinhalten. In den vorangegangenen Workshops wurde immer wieder die Notwendigkeit betont, Individuen anzusprechen und diese dabei nicht ausschließlich als „die Jüd*in“ oder „die Muslima“ zu adressieren. Fragen nach möglichen säkularen oder queeren Positionierungen im jüdisch-muslimischen Dialog sollten hier thematisiert werden können. Durch die gewählte Methode, nach welcher jede anwesende Person sich Gedanken über die eigenen Bindestrich- Identität machte und worauf die späteren Fragen aufbauten, wurden die Diskussionen viel breiter als angedacht, da es für einige Gäste durchaus ungewohnt war, in dieser Weise mit Widersprüchlichkeit in Identitäten einer Person konfrontiert zu sein und sich darüber Gedanken zu machen, wie andere Menschen mit diesen scheinbaren Widersprüchen zu leben. Dieser Tisch zeigte im Endeffekt einmal mehr, wie verletzlich sich unsere Teilnehmer*innen machen können, wenn sie in ungeschützteren Räumen zu viel von sich preisgeben und wie wichtig geschützte Räume sind, in denen ein längeres Kennenlernen möglich gemacht wird, um die Einzelnen dann ganzheitlicher zu verstehen.

Der „Elefant im Raum“ wurde diesmal nicht ignoriert, sondern bekam an einem dritten Tisch eine eigene Diskussionsrunde. „Warum wir (nicht) über den Nahostkonflikt reden“, wollten zwei Teilnehmer*innen wissen, und stellten die Frage gleich weiter. Sie schilderten ihre eigene familiäre Verbindung zum Thema und bereiteten so den Raum für andere, sich ebenfalls dort zu verordnen und ihre Geschichte darzustellen. Somit führten die Runden zu diesem Thema jeweils schnell weg von der antizipierten Beschäftigung mit der Problematik für in Berlin lebende Muslim*innen und Jüd*innen, von außen immer aufgefordert zu werden, sich zum Nahostkonflikt zu positionieren und wandelten sich in eine lebendige Darstellung der vielen Verbindungen zum Nahen Osten, die in Berlin zusammenfließen. Das Aufzeigen dieser Tatsache und das Hören von Menschen, die jeweils individuelle Schritte gegangen sind um sich über andere Narrative ihrer eigenen Geschichte aufzuklären allein verdeutlichte, dass wir unbedingt diesen Elefanten im Raum auf unsere Weise weiter besprechen sollten.

Einen geeigneten Moment für die offizielle Beendung des Nachmittages konnte Hakan Tosuner, Geschäftsführer des Avicenna- Studienwerkes, nur schwer fallen, denn eines war allen deutlich geworden: zu besprechen gibt es noch viel mehr.

Mit dem öffentlichen Abschlussworkshop im Dezember 2019 in der Berlinischen Galerie haben wir das erste Programmjahr mit der Teilnahme von Staatssekretär Gerry Woop erfolgreich beendet und gleichzeitig den Grundstein für das zukünftige Weiterdenken gelegt.

Karov-Qareeb – so viel wurde deutlich – hat in diesem Jahr einen Raum geschaffen, in dem die Teilnehmer*innen zukünftig ihre Arbeit fortsetzen und intensivieren können. Auf diese Basis bauen wir und freuen uns auf die nächsten Schritte im kommenden Jahr und darauf, gemeinsam mit dem Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk und dem Avicenna-Studienwerk Karov-Qareeb unter dem Dach der Dialogperspektiven auszubauen.

Herzlichen Dank an alle Teilnehmer*innen für ihr Engagement, an alle Gäste des gestrigen Abends für Ihr Interesse und die spannenden Diskussionen und an Staatssekretär Gerry Woop und die Berliner Senatsverwaltung für die Unterstützung!